Das Einfangen von Löwen in der Wüste ist ein schönes Beispiel anwendungsnaher Mathematik, in das sogar physikalische Aspekte hineinspielen. Wir geben daher zum Nutzen der Leser eine Zusammenstellung wieder, die ihm bei diesem, im täglichen Leben so häufig auftretenden Problem, einige Leitlinien zur Lösungsfindung vermitteln.

MATHEMATISCHE METHODEN

Die Hilbertsche oder axiomatische Methode

Man stellt einen Käfig in die Wüste und führt folgendes Axiomensystem ein:

Axiom 1: Die Menge der Löwen in der Wüste ist nicht leer.

Axiom 2: Sind Löwen in der Wüste, so ist auch ein Löwe im Käfig.

Schlußregel: Ist p ein richtiger Satz, und gilt „wenn p, so q“, so ist auch q ein richtiger Satz.

Satz: Es ist ein Löwe im Käfig.

Die geometrische Methode

Man stelle einen zylindrischen Käfig in die Wüste.

Fall 1: Der Löwe ist im Käfig. Dieser Fall ist trivial.

Fall 2: Der Löwe ist außerhalb des Käfigs.

Dann stelle man sich in den Käfig und mache eine Inversion an den Käfigwänden. Auf diese Weise gelangt der Löwe in den Käfig und man selbst nach draußen.

Achtung: Bei Anwendung dieser Methode ist dringend darauf zu achten, daß man sich nicht auf den Mittelpunkt des Käfigbodens stellt, da man sonst im Unendlichen verschwindet.

Die Projektionsmethode

Ohne Beschränkung der Allgemeinheit nehmen wir an, daß die Wüste eine Ebene ist. Wie projizieren diese auf eine Gerade durch den Käfig, und die Gerade auf einen Punkt im Käfig. Damit gelangt der Löwe in den Käfig.

Die Bolzano-Weierstraß-Methode

Wir halbieren die Wüste in Nord-Süd Richtung durch einen Zaun. Dann ist der Löwe entweder in der westlichen oder östlichen Hälfte der Wüste. Wir wollen annehmen, daß er in der westlichen Hälfte ist. Daraufhin halbieren wir diesen westlichen Teil durch einen Zaun in Ost-West Richtung. Der Löwe ist entweder im nördlichen oder im südlichen Teil. Wir nehmen an, er ist im nördlichen. Auf diese Weise fahren wir fort. Der Durchmesser der Teile, die bei dieser Halbiererei entstehen, strebt gegen Null. Auf diese Weise wird der Löwe schließlich von einem Zaun beliebig kleiner Länge eingegrenzt.

Achtung: Bei dieser Methode achte man darauf, daß das schöne Fell des Löwen nicht beschädigt wird.

Die mengentheoretische Methode

Die Punkte in der Wüste lassen sich wohlordnen. Ausgehend vom kleinsten Element erwischt man den Löwen durch transfinite Induktion.

Bemerkung: Diese Methode ist in Fachkreisen umstritten, wegen der Verwendung des Wohlordnungssatzes bzw. des Auswahlaxioms. Wie so oft, hat auch die vorliegende Fragestellung zu einer fruchtbaren Entwicklung geführt. Dabei wurde schließlich eine sehr viel einfachere Methode entdeckt, die den genannten Mangel nicht aufweist:

Man betrachte alle Teilmengen der Wüste, die den Löwen enthalten und bilde den Durchschnitt. Er enthält als einziges Element den Löwen.

(Bei dieser Durchschneiderei ist lediglich darauf zu achten, daß das schöne Fell des Löwen nicht zerschnitten wird!)

Die funktionalanalytische Methode

Die Wüste ist ein separabler Raum. Er enthält daher eine abzählbar dichte Menge, aus der eine Folge ausgewählt werden kann, die gegen den Löwen konvergiert. Mit einem Käfig auf dem Rücken, springen wir von Punkt zu Punkt dieser Folge und nähern uns so dem Löwen beliebig genau.

Die Peano-Methode

Man konstruiert eine Peano-Kurve, die durch jeden Punkt der Wüste geht. Es ist gezeigt worden, daß man eine solche Kurve in beliebig kurzer Zeit durchlaufen kann. Mit dem Käfig unter’m Arm durchlaufe man die Kurve in kürzerer Zeit, als der Löwe benötigt, um sich um seine eigene Länge fortzubewegen.

Die topologische Methode

Der Löwe kann topologisch als Torus aufgefaßt werden. Man transportiere die Wüste in den vierdimensionalen Raum. Es ist nun möglich die Wüste so zu deformieren, daß beim Rücktransport in den dreidimensionalen Raum der Löwe verknotet ist. Dann ist er hilflos.

Die Cauchy’sche oder funktionentheorethische Methode

Wir betrachten eine reguläre löwenwertige Funktion f auf der Wüste. Der Käfig stehe im Punkt z der Wüste. Man bildet dann das Integral

Wobei C der Rand der Wüste ist. Der Wert des Integrals ist f(z), d.h. es ist ein Löwe im Käfig.

Die Banach’sche oder iterative Methode

Es sei f eine Kontraktion der Wüste in sich mit Fixpunkt x0. Auf diesen Fixpunkt stellen wir den Käfig. Durch sukzessive Iteration

wird die Wüste auf den Fixpunkt zusammengezogen. So gelangt der Löwe in den Käfig.

Die Kompaktheitsmethode

Die Wüste wird ohne Beschränkung der Allgemeinheit als kompakt vorausgesetzt. Man überdecke sie mit einer Familie von Käfigen Ki (i Î I). Dann gibt es unter ihnen endlich viele Käfige Ki1, …, Kin, die bereits die ganze Wüste überdecken. Die Durchmusterung dieser Käfige auf darin befindliche Löwen wird als Diplomarbeit vergeben.

Die logische Methode oder Methode des „Tertium non datur“

Man stelle einen offenen Käfig in die Wüste und lege ein Brett mit Leim daneben. Beides biete man dem Löwen zum Betreten an. Der Löwe sagt dann: „Nein, auf den Leim gehe ich nicht!“ Nach dem „Tertium non datur“ muß er in den Käfig gehen. Danach schlägt man die Tür zu.

Die stochastische Methode

Man benötigt dazu ein Laplace-Rad, einige Würfel und eine Gauss’sche Glocke. Mit dem Laplace-Rad fährt man in die Wüste und wirft mit den Würfeln nach dem Löwen. Kommt er dann wutschnaubend angerannt, so stülpt man die Gauss’sche Glocke über ihn. Unter ihr ist er mit der Wahrscheinlichkeit eins gefangen.

Die didaktische Methode

Man nähere sich dem Löwen auf der Bruner’schen Spirale. Dann elementarisiere man den Löwen zu einer Katze und fange ihn mit einer Schale Milch.

Die metrische Methode

Wir stellen einen Käfig in die Wüste, verlassen diese unauffällig und definieren in ihr die indiskrete Metrik, d.h. der Abstand zwischen allen Punkten ist 0.

Insbesondere ist also der Abstand zwischen Löwe und Käfig gleich 0, d.h. der Löwe ist im Käfig.

Die induktive Methode

Ein Löwe sei in der Wüste. Mit vollständiger Induktion zeigt man leicht, daß für beliebige n Î N gilt: n Löwen sind in der Wüste. Weil die Wüste endlichdimensional ist, liegen die Löwen für hinreichend große n überall dermaßen dicht, daß zwangsläufig einer in den Käfig gedrängt wird.

PHYSIKALISCHE METHODEN

Die Newton’sche Methode

Käfig und Löwe ziehen sich durch die Gravitationskraft an. Wir vernachlässigen die Reibung. Auf diese Weise muß der Löwe früher oder später am Käfig landen.

Die Heisenberg-Methode

Ort und Geschwindigkeit eines bewegten Löwen lassen sich nicht gleichzeitig bestimmen. Da bewegte Löwen also keinen physikalisch sinnvollen Ort in der Wüste einnehmen, kommen sie für die Jagd nicht in Frage. Die Löwenjagd kann sich daher nur auf ruhende Löwen beschränken. Das Einfangen eines ruhenden, bewegungslosen Löwen wird dem Leser als Übungsaufgabe überlassen.

Die Schrödinger-Methode

Die Wahrscheinlichkeit dafür, daß sich ein Löwe zu einem beliebigen Zeitpunkt im Käfig befindet, ist größer als Null. Man setze sich vor den Käfig und warte.

Bemerkung: Hierbei wird üblicherweise vorausgesetzt, daß der Käfig offen ist und man ihn zuschlagen muß, wenn der Löwe drin ist. H. Schubert wies aber darauf hin, daß man den Käfig wegen des Tunneleffektes auch zulassen kann. Auf diese Weise kann man bei der elenden Warterei auch mal weggehen und ein Bierchen trinken. Aber nicht zu lange! Denn kluge Löwen, die den Tunneleffekt begriffen haben, verschwinden auch wieder.

Die Einstein’sche oder relativistische Methode

Man überfliege die Wüste mit Lichtgeschwindigkeit. Durch die relativistische Längenkontraktion wird der Löwe flach wie Papier. Man greife ihn, rolle ihn auf und mache ein Gummiband herum.

Bemerkung: Wir haben uns hier auf physikalische Methoden beschränkt, die der Mathematik nahe stehen. Weitere Methoden, insbesondere experimentalphysikalische, findet der Leser in der verdienstvollen Abhandlung von H. Pétard [A Contribution to the Mathematical Theroy of Big Bame Hunting. American Math. Monthly 45, 446-447] aus dem Jahre 1938. (Wie z.B. das Arbeiten mit halbdurchlässigen Membranen, die alles außer Löwen durchlassen. Mit ihnen siebt man die Wüste durch.) Die Sammlung von Pétard hat auch bei einigen der angegebenen mathematischen Methoden Pate gestanden. Für einige neu aufgenommene Fangmethoden in dieser Auflage danke ich G. Niklasch und L. Scheyde.

Auf eine schmerzliche Lücke jedoch wies H. Schubert hin, der sich offenbar besonders tief in diese Problematik einarbeitete. Er bemerkte, daß in all den beschriebenen Methoden die Existenz mindestens eines Löwen vorausgesetzt wird. Wie jeder Mathematiker weiß sind aber Existenzprobleme häufig am haarigsten.

Schubert ist nicht der Mann, der auf hablem Wege stehen bleibt. Er teilte mir daher die folgende Strategie mit, welche die Lücke schließt.

Die dialektische Methode:

Man zäune die Wüste ein, bewässere sie, sät Gras und setzt Kaninchen aus. Die Kaninchen vermehren sich schnell. Nach Hegel kommt daher bald der Zeitpunkt, bei dem Quantität in Qualität umschlägt, und dann hat man einen Löwen.

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